Neue Studie zur Beschäftigungspotenziale älterer Personen

Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, erstellt in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), beleuchtet die Beschäftigungspotenziale älterer Menschenn im deutschen Arbeitsmarkt und zeigt Chancen und Herausforderungen bis zum Jahr 2035 auf. Laut der Untersuchung könnten bis zu 11,6 Millionen Menschen im Alter von 55 bis 70 Jahren stärker in den Arbeitsmarkt eingebunden werden. Dies betrifft vor allem Teilzeitbeschäftigte, Arbeitslose und Nichterwerbstätige ohne Rentenbezug.

Ein zentraler Fokus liegt dabei auf der Frage, wie sich die Erwerbsbeteiligung dieser Altersgruppe steigern lässt, um den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel zu bewältigen. Besonders relevant ist das Potenzial derjenigen, die derzeit nur in Teilzeit tätig sind oder bereits eine Rente beziehen. Diese Gruppen könnten durch flexible Arbeitsmodelle, eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sowie gezielte gesundheitliche Maßnahmen noch stärker integriert werden.

Die Studie hebt hervor, dass vor allem in Schweden gute Beispiele zu finden sind. Dort ist die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer deutlich höher, was unter anderem durch niedrigere Teilzeitquoten und bessere Angebote an Vollzeitarbeitsplätzen erreicht wird.

Weitere Details und Maßnahmen, die zur Erhöhung der Beschäftigung führen könnten, finden Sie in der vollständigen Studie der BertelsmannStiftung, die Sie hier herunterladen können.

Quelle:
Buslei, H., Geyer, J., und Haan, P. (2024). Beschäftigungspotenziale Älterer – Umfang und Realisierungschancen bis 2035. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

Auszug aus der Studie der BertelsmannStiftung

Zusammenfassung

Personen im Alter zwischen 55 und 70 Jahren weisen im Vergleich zur jüngeren Bevölkerung eine geringere Erwerbsquote auf und haben einen geringeren Erwerbsumfang. Wenn es gelänge dieses Er- werbspotenzial zumindest teilweise zu aktivieren, wäre dies ein zentraler Baustein zur Bewältigung des demografischen Wandels.

In der vorliegenden Studie wird dieses Potenzial quantifiziert, seine Entwicklung unter heutigen Bedin- gungen bis 2035 abgeschätzt und die Wirkung bestimmter Politikszenarien zur Aktivierung simuliert. Dabei liegt der Fokus zunächst auf Personen, die nicht vollzeiterwerbstätig sind. Aus dieser Gruppe wird ein aktivierbares Potenzial abgeleitet. Im Ausgangsjahr 2020 schätzen wir die Personengruppe mit Erwerbspotenzial auf etwa 11,6 Mio. Personen, wobei mehr als die Hälfte dieser Gruppe nicht erwerbstätig ist und bereits Rente (6,1 Mio.) bezieht. Die zweitgrößte Gruppe mit 3,6 Mio. sind Teil- zeiterwerbstätige, 1,6 Mio. Personen sind nicht erwerbstätig ohne Rentenbezug und etwa 300 Tausend Menschen waren erwerbslos, das heißt auf der Suche nach Arbeit und unmittelbar verfüg- bar.

Bei den Nichterwerbstätigen mit Rentenbezug geben die jüngeren in dieser Gruppe sehr häufig Krankheit und Erwerbsminderung als Grund für die fehlende Arbeitssuche an. Ein relevanter Teil dieser Gruppe weist erhebliche gesundheitliche Einschränkungen auf, die zur Verrentung geführt haben. Von den insgesamt 6,1 Mio. Nichterwerbstätigen mit Rentenbezug dürften damit etwa 1,2 Mio. wegen einer Erwerbsminderung nicht für eine Arbeitsaufnahme in Frage kommen. Immerhin drei Viertel der Personen zwischen 65 und 70 Jahren (etwa 3,4 Mio. Personen) kämen damit poten- ziell für eine Erwerbstätigkeit in Betracht.

Die Datenauswertung der Gründe für den aktuellen Erwerbsumfang von Teilzeitbeschäftigten zeigt ein heterogenes Bild. Etwa 30 Prozent geben konkrete Hemmnisse, wie fehlende Vollzeitarbeits- platze, Krankheit und persönliche und familiäre Verpflichtungen, als Hauptgrund für die Teilzeittätigkeit an. 45 Prozent geben an, Teilzeit arbeiten zu wollen. Dieser Grund wird mit dem Al- ter bedeutender, häufiger von Frauen als von Männern genannt und ebenfalls häufiger, wenn ein Partner oder eine Partnerin bereits eine Rente bezieht oder das Haushaltseinkommen hoch ist. Für einen weiteren Teil der Teilzeitbeschäftigten ist der Rentenbezug wahrscheinlich der Grund, warum sie (nur noch) Teilzeit erwerbstätig sind. Die Gruppe der Rentenbeziehenden bildet mit etwa 800 Tsd. Personen eine große Teilgruppe der Teilzeitbeschäftigten.

Die Aktivierung der Teilzeitbeschäftigten ist einerseits vielversprechend, da es sich um eine relativ große Gruppe handelt. Andererseits dürfte die Wirkung finanzieller Anreize bei den Rentenbezie- henden begrenzt sein – so jedenfalls die bisherige Erfahrung bei der Erwerbstätigkeit in Kombination mit Rentenbezug. Bei der großen Gruppe derjenigen, die Teilzeit arbeiten wollen, könnten hingegen finanzielle Anreize relevanter sein.

Die vergleichsweise kleine Gruppe der Erwerbslosen weist spezifische Arbeitsmarkthemmnisse auf. So sind die Personen häufiger aufgrund von schlechter Gesundheit nicht erwerbstätig. Ein anderer Teil dürfte nur kurzfristig arbeitslos sein, so dass selbst bei Vollbeschäftigung mit einem gewissen Anteil von Erwerbslosen gerechnet werden müsste. Deswegen ist das zusätzlich aktivierbare Potenzial dieser Gruppe nicht hoch. Die größere Gruppe der „arbeitsmarktfernen“ Arbeitslosen sucht zum überwiegenden Teil nicht aktiv nach Erwerbstätigkeit. Auch hier ist ein schlechter Ge- sundheitszustand oder sogar eine Erwerbsminderung ein zentraler Faktor. Das Potenzial dieser Gruppe zu heben, ist dementsprechend schwierig. Gleichzeitig verweist dieser Befund auf die Be- deutung der Gesundheitsprävention vor Eintritt schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Bei den „übrigen Nichterwerbstätigen ohne Rentenbezug“ beobachten wir ebenfalls kaum aktive Suche nach Arbeit. Diese Gruppe besteht zu 75 Prozent aus Frauen. Die Gründe für die fehlende Arbeits- suche sind vielfältig. Dazu zählen Krankheit und Erwerbsminderung, aber auch Betreuungsaufgaben und „andere Verpflichtungen“. 14 Prozent, hauptsächlich Personen über 65 Jahren, sehen sich im

„Ruhestand“. Für einen Teil dieser Gruppe dürfte auch von Bedeutung sein, dass der Partner oder die Partnerin bereits eine Rente bezieht. Entsprechend der Heterogenität der Gründe für die feh- lende Arbeitssuche müssten für die Mitglieder dieser Gruppe verschiedene Maßnahmen ergriffen werden. Gesundheitsfördernde Maßnahmen und Betreuungsangebote für Pflegebedürftige spielen dabei eine wichtige Rolle.

Aufbauend auf diesen Ergebnissen werden in der Studie Maßnahmen skizziert und diskutiert, die zu einer Erhöhung der Beschäftigung für die einzelnen Potenzialgruppen führen könnten. Die Hetero- genität der Gründe für die eingeschränkte Erwerbsfähigkeit macht deutlich, dass eine Aktivierungsstrategie an unterschiedlichen Faktoren ansetzen muss. Bei den Teilzeitbeschäftigten fehlt es etwa bei einem Teil an geeigneten Vollzeitstellen. Gleichzeitig können Gesundheitspräven- tion und altersgerechte Arbeitsplätze helfen, die Arbeitsfähigkeit auch im höheren Erwerbsalter zu erhalten. Sehr bedeutsam erscheint auch die Betreuungsinfrastruktur zur Unterstützung von Perso- nen, die informelle Pflege und Erwerbstätigkeit vereinbaren müssen. Ältere Arbeitslose weisen wiederum häufig spezifische Hemmnisse auf, die bei der Arbeitsvermittlung stärker adressiert wer- den sollten. Generell weist der Pool der Nichterwerbstätigen einen eher schlechten Gesundheitsstatus auf.

Für die Nichterwerbstätigen mit Rentenbezug könnten kurzfristig vor allem Maßnahmen aussichts- reich sein, die sich an die gesunden Mitglieder dieser Gruppe richten. Zu den Maßnahmen vor Erreichen der Regelaltersgrenze zählen die seit 2023 unbefristete Aufhebung der Hinzuverdienst- grenzen bei Bezug einer vorgezogenen Altersrente und der Wegfall des abschlagsfreien Bezugs einer Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze („Rente mit 63“). Maßnahmen, die nach Errei- chen der Regelaltersgrenze helfen könnten, das Erwerbspotenzial zu heben, sind eine bessere Aufklärung über die Optionen zur Weiterarbeit neben dem Bezug einer Rente und finanzielle An- reize, wie renten- und steuerrechtliche Vorteile bei Weiterarbeit.

Als Referenz für eine bessere Aktivierung des Erwerbspotentials Älterer haben wir Erwerbsquoten und Erwerbsumfang aus Schweden herangezogen. In Schweden arbeitet ein größerer Anteil dieser Gruppe, wobei die Teilzeitquote in Schweden niedriger und die durchschnittliche Arbeitszeit in Teil- zeitbeschäftigung höher als in Deutschland ausfallen. Wir nutzen diese Relationen, um für Deutschland Szenarien zu formulieren, in denen die heute höhere Erwerbsbeteiligung in Schweden bis zum Jahr 2035 auch in Deutschland erreicht wird. Darüber hinaus betrachten wir mit Bezug auf die Verrentung ein weiteres Szenario, in dem die bisher bestehende Möglichkeit des Bezugs einer Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze ohne Abschläge entfällt. Die Änderungen werden parallel zur weiteren Erhöhung der Regelaltersgrenze eingeführt. Nach der vollen Einführung wird eine Rente ohne Abschläge erst ab 67 Jahren gewährt.

Auf Basis der Simulation lassen sich die folgenden Ergebnisse ableiten:

  1. Unterstellt man die schwedischen Teilzeitquoten lässt sich eine zusätzliche Beschäftigung in Höhe von 450 Tsd. Vollzeitäquivalenten im Jahr 2035 realisieren. Dafür müsste mit etwa 560 Tsd. Personen ein erheblicher Teil der Teilzeitbeschäftigten im Jahr 2025 in Vollzeit wechseln. Darüber hinaus müssten die (verbleibenden) Teilzeitbeschäftigten mehr Stunden in der Woche
  2. Würde die Erwerbsquote der Älteren ohne Rentenbezug auf das Niveau von Schweden steigen, ließe sich eine Beschäftigungserhöhung in Höhe von 570 Vollzeitäquivalenten erreichen. Ein erheblicher Teil davon (etwa 400 Tsd. Personen) müsste in Vollzeit erfolgen.
  3. Die Aufhebung der Möglichkeit eines Rentenbezugs vor Erreichen der Regelaltersgrenze ohne Abschläge führt nach den getroffenen konservativen Annahmen zu einer Verschiebung des Ren- teneintritts eines Teiles der Personen. Nach den Simulationsergebnissen ergibt sich dadurch im Jahr 2035 eine zusätzliche Beschäftigung in Höhe von 110 Tsd. Vollzeitäquivalenten. Die Zahl der Beschäftigten steigt um 160 Tsd. Personen. Bei weniger konservativen Annahmen könnten diese Zahlen um gut ein Viertel höher liegen.
  4. Nimmt man für die Personen mit Rentenbezug in der Altersgruppe 65-70 Jahre die gleichen Er- werbsquoten wie in Schweden an, ergibt sich eine Erhöhung der Beschäftigung um 340 Tsd. Vollzeitäquivalente. Verantwortlich dafür ist eine erhebliche Zunahme der Teilzeittätigkeit (+510 Tsd.) Personen.

(c) BertelsmannStiftung